Text / Auswahl

Auszüge aus der Rede von Dr. Marina Linares, Kunsthistorikerin Köln (Mai 2015)

zur Eröffnung der Ausstellung Eva Vettel: TRANS-FORM

am 10. Mai 2015 im Haus der Kunst, Nümbrecht

 

[...] „Mit der Ausstellung hier im Haus der Kunst gibt uns die Künstlerin einen eindrucksvollen Einblick in ihr Werk, in ihre Fotoserien und -installationen. Beide Werkformen gehen formale und konzeptionelle Verbindungen ein. Sie gehören nicht nur stilistisch oder thematisch, sondern großteils auch in ihrer Genesis zusammen. Während sich in der Fotografie ein Moment verdichtet, fangen die Installationen Zeit und Wandel ­­ein.“ [...]

„Ein Spiel mit Ebenen entsteht, mit verschiedenen Zeit-, Raum- und Wirklichkeitsebenen:

Bild und Realraum bestehen nebeneinander, durchdringen sich gegenseitig.“ [...]

 

„Zeitenwechsel (2009), ein Projekt in der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz, fuhrt die

mediale Synthese in formaler und inhaltlicher Konzeption fort; das Geschehen hinter der

Projektion dominiert die Szene und ermöglicht, vermittelt uber die Gesamtaufnahme, die

Entwicklung mehrerer Fotoserien.“ [...]

„In den daraus entstandenen Fotoserien zwei, zeitenwechsel und system erscheinen

reale Personen, gedämpft durch den Schirm und das Gegenlicht der Fenster, schemenhaft, als entindividualisierte, abstrakte Figuren. Nicht als Einzelpersonen interessieren sie, sondern ihr Miteinander, ihre Beziehung im Raum – in einem Raum, der lichtdurchflutet und geprägt durch das Weiß der Naturbilder auf dem Schirm und den Wänden dahinter, fast immateriell, sphärisch wirkt.“

 

„In all ihren Arbeiten bindet Eva Vettel Naturphänomene ein. Doch es geht weniger um

Erfassung konkreter Elemente als um die Natur als Ganzes, in die auch der Mensch

integriert ist – um die Natur um und in uns. Gezeigt werden allgemeine Zustände:

Beziehungen und Stimmungen, Materie und Licht, Zeit und Raum.“

 

Experts from the talk by Dr. Marina Linares, art historian, Cologne, (May 2015)

at the opening of the exhibition Eva Vettel: TRANS-FORM

on 10 May 2015 at Haus der Kunst, Nümbrecht

 

[...] "In the exhibition here at Haus der Kunst, the artist gives us an impressive glimpse of her work, in this case her photo series and installations. The two genres share a common formal and conceptual basis. They are related not only stylistically or thematically but in most cases also with regard to their genesis. While photography freezes and condenses a single moment, however, installations are able to capture the notions of time and change."

"It is possible to play with different levels of time, space, and reality: the image and real space coexist, interpenetrate each other." [...]

 

"Zeitenwechsel (2009), a project presented at the Ehrenbreitstein Fortress in Koblenz, carries forward this media synthesis with both its formal and substantive concept. What is happening behind the projection dominates the scene and allows for the development of several photo series, conveyed through the overall image." [...]

"In the resulting photo series – zwei, zeitenwechsel and system – real people appear, their outlines muted by the translucent screen and the back-light from the window, shadowy and vague, like abstract figures deprived of their personalities. They are not of interest as individuals but rather in their co-existence, their relationships in space – a space that is bathed in light and shaped by the whiteness of the nature pictures on the screen and the walls behind it, having an almost immaterial, ethereal effect."

 

"Eva Vettel incorporates natural phenomena into all of her works. Rather than focusing on recording concrete elements, however, she evokes nature as a whole, and the human being as a part of it – the nature all around us and inside of us. The artist brings us general states:

relationships and moods, matter and light, time and space."

 

Auszüge aus der Rede von Andreas Richartz, Kunstkritiker, Köln (Okt. 2015)

zur Eröffnung der Ausstellung:


Eva Vettel - TRANSPARENT VIEW

11.10 – 08.11.2015

 

Kölnisches Stadtmuseum - Museum Zündorfer Wehrturm

Von Andreas Richartz, Kunstkritiker, M.A.

 

TRANSPARENT VIEW bietet eine große fotografische Narration in der Verknüpfung verschiedener Werk-Serien, die das Ende der Zielgerichtetheit der Naturgeschichte ebenso im Blick führt, wie das Ende ihrer vermeintlichen und über Jahrtausende selbstverständlich angenommenen Stabilität und ihrer generativen Unversehrtheit.

 

So wie das Telos einer Zielgerichtetheit menschlicher Zivilisationsgeschichte längst obsolet erscheint, so handelt diese Ausstellung auch von der Auflösung der Naturgeschichte als einer dialektischen Geschichte des Fortschritts und Fortschreitens hin zu einem Ziel.

 

Aber Naturgeschichte darf dabei nicht lediglich als die Geschichte des Planeten gedeutet werden. Eva Vettel geht es ebenso um die Natur des Menschen, die sich spezifisch auf eben diesem Planeten herausgebildet hat und immer noch herausbildet, da ihre Evolutionsgeschichte keineswegs abgeschlossen ist. Eva Vettels Bilder handeln also im Gegenteil von der Irritierbarkeit, der Vieldimensionalität und Instabilität dessen, was wir unverbrüchliche Natur zu nennen gewohnt sind. Die angebliche Begrenztheit einer fragwürdig gewordenen genuin kognitiv-menschlichen Natur, die in den Laboren nachmoderner Neuro-Biologie-Wissenschaften zu ihrer Auflösung durch synthetische  Enhancements gebracht werden soll, ist ebenso ihr Thema.

 

Aber steigen wir Schritt für Schritt die Ebenen des Turms und ihrer Architektur herauf und betrachten die Ausstellung in der zeitlichen Spirale, die der kuratorischen Idee dieser Ausstellung zugrunde liegt. Diese ist: Übergänge einzelner Werkreihen von Ebene zu Ebene zu schaffen, bis wir schließlich oben im Turm zu Eva Vettels neuesten Arbeiten gelangen.

 

Im Erdgeschoss, auf der 1. und zum Teil auf der 2. Ebene, sehen sie Bilder aus der Serie „AREAL“. Entstanden ist diese im Hamburger Raum Ende der 90er Jahre bis 2004.

 

Wir sehen hier Farb-Fotografien, im Herbst entstanden, die schon eines der wichtigen ideellen Motive Vettels transportieren. Wandel-Zeit, Zeit der Wandlung, Naturumgebungen in der Nähe zur Stadt. AREAL ist ein Raumbegriff. Doch es geht nicht um Schönheit. Es geht auch nicht um Unschärfe oder Hässlichkeit als trendige Botschaften postmoderner Ausdrucksweisen zeitgenössischer Fotografie. Es geht Eva Vettel hier wie auch in anderen Serien vielmehr um ein Eintauchen in substantielle Themen: Die Verdrängung der Natur an die Ränder unserer Großstädte, die Frage ihrer Bestimmbarkeit in und um uns und um die Darstellung von Zeit und Raum. Dass sie dabei dennoch oder auch den Eindruck klassischer Naturfotografie erzielt, liegt an der ausschnitthaften Reduktion, die sie von Umgebungen wählt, die häufig in direkter Nähe zur städtischen Zivilisation liegen und die die Frage eröffnen: WO sind wir hier überhaupt?

 

In AREAL transferieren die Verwischungen, die den Eindruck von Bewegung evozieren und die durch längere Belichtungszeiten entstanden, eine naturale Prozess-Analogie: Nicht bloß der Raum, auch Zeit ist plötzlich im Bild enthalten. Die Unfokussiertheit solcherart Bilder öffnet damit einen Assoziationsraum, der über das abgebildete Phänomen hinaus weist. Bewegtheit wird zum Synonym für Wandel. Das Bild selbst steht am Übergang zum abstrakten Bild.

 

Auf der 2. Ebene treffen wir neben zwei weiteren Bildern aus der Serie AREAL auch auf 2 Arbeiten aus der Serie ZEITENWECHSEL aus dem Jahr 2011. Hier sehen wir die ersten Arbeiten, die ebenso und doch auf andere Weise den Gedanken einer naturalen Prozessualität in sich tragen, der Eva Vettels Werk bis heute insgesamt bestimmt. Halbtransparente Arbeiten, die den Charakter der Auflösung, der Endlichkeit aller Phänomene zeigen. Und wir sehen hier bereits die strukturalen Anschluss-Kommunikationen der Bilder, die Eva Vettel für diese Ausstellung ausgewählt hat.

 

Auf der 3. Ebene dann scheint zunächst etwas völlig anderes zu geschehen: Überbelichtete, ja fast gleißende Bilder von Zerfall und menschenleerer Verlassenheit begegnen uns in der Serie ZWISCHENZEIT.

 

Eva Vettel hat hier Bilder einer städtischen Institution kurz vor ihrem Abriss machen dürfen. Die Symbolik ist eindeutig: Überreste menschlichen Lebens geben den Hinweis auf unsere Endlichkeit, Leben und Tod sind ein fließender Übergang ebenso wie Liebe und Trennung, wie die Ereignishaftigkeit aller Naturphänomene überhaupt. Die schwebende Hängung der Bilder konterkariert durch ihre sprichwörtliche Leichtigkeit hier das eigentlich Schwere des Themas.

 

Betrachten wir die 4. Ebene und ihre Auswahl aus der Werkreihe WEISS: Erneut schauen wir auf eine Fragilität im Wandel. NOCH hängen Blätter, stehen Halme und SCHON liegt Schnee. Meine sehr verehrten Damen und Herren: Das Programm der Ausstellung wird sukzessive deutlicher. Passagen, Übergänge bestimmen unser gesamtes Dasein. Natur ist instabil, irritierbar und selbst ihre Abfolge von Wandel unterzogen, wie wir seit den Erkenntnissen um den faktisch bereits sich vollziehenden Klimawandel zu ahnen beginnen.

 

Auf der 2. Ebene begegnete uns bereits ein Bild aus der Reihe ZWEI. Auf der 5. und 6. Ebene treffen wir auf weitere Bilder dieser Werkreihe, die wie die Serie SYSTEM auf der Grundlage einer Installation entstanden sind, bei der Eva Vettel halbtransparente Fotografien, die schemenhafte Motive zeigen, auf einem stoffartigen Bildträger aufgebracht hat. Diese Installation, welche auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz gezeigt wurde, hat Eva Vettel zu neuen Serien verarbeitet, indem sie die Menschen, die sie besuchten, hinter derselben stehend, hockend und gehend durch sie hindurch abgelichtet hat. Hier erreicht die Symbolik um die anthropologische Konstante Endlichkeit durch die Erschaffung multipler Bildebenen  ihren Höhenpunkt: Was ist Realität, was ihre vermeintliche Abbildung?

 

Ein Spiel mit dualen bzw. komplementären Betrachtungsebenen. Spannend: Wie verschieden „Sehen“ funktioniert. Unsere Sinne sind von ständiger Störanfälligkeit betroffen. Irritationen entstehen durch die Diversität okularer Fokussierung der installativen Bild-Oberfläche oder auch darüber oder dahinter hinaus.

 

Auf der 6. Ebene können sie schließlich auch eine Bildschirm-Präsentation derjenigen Raum-Installationen Eva Vettels betrachten, die u.a. Ausgangspunkt für die genannten Werkreihen ZWEI und SYSTEM wurden.

 

Neuere bis ganz aktuelle Arbeiten begegnen uns dann auf den Ebenen 7 und 8. Hier schließt sich der retrospektive Kreis von TRANSPARENT VIEW. Auch, indem hier wie zu Beginn der Ausstellung auf der untersten Ebene, erneut die Farbfotografie das Vorrecht erhält. In FLORA sehen wir eine zeitgenössische Verschiebung der Akzentuierung von „Natur-Fotografie“. Ihre Rudimente in der Stadtlandschaft werden durch Fokussierung betont, die Menschen verschwimmen dagegen, bleiben – obschon im ausschnitthaften Mittelpunkt -  im Hintergrund. Wo Natur kaum noch eine Wahrnehmung im urbanen Stressraum unserer Lebenswelten beanspruchen kann, da sind ihr Erhalt und ihre Betrachtung von besonders eindringlicher Wichtigkeit.

 

Diese Bespiegelung vollzieht sich auch in der Serie TWILIGHT: Wo Architektur, die lediglich noch einen Anspruch auf Zweckmäßigkeit erfüllen will, wo Lichtsmog über 24 Stunden herrscht und der Mensch auf seine gesellschaftliche Produktivkraft reduziert wird, erhält Natur – und eben auch die sogenannte menschliche Natur – eine neue Dimension. Dass diese angeblich unaufhaltbare Dynamik seit der industriellen Revolution, also erdgeschichtlich betrachtet erst einen Wimpernschlag, geschieht, ist dabei kein Trost. Rousseaus „Mensch im Naturzustand“ jedenfalls, sein „homme naturel“, ein wildes und auch freies Wesen, und auch davon erzählt diese Serie Eva Vettels, scheint für immer verloren.

 

Und mit einem extremen Nahblick auf die ungeheuer komplexe und faszinierende Architektur einer von uns im  Stadtraum kaum noch wahr genommen Pusteblume in Gegenüberstellung zu unsere Sinne erschlagenden Stadt-Architekturen, scheinen diese Bilder uns sagen zu wollen: Seid achtsam und tretet in den Dialog mit eurer Um- und Mitwelt, so wie wir sie jahrtausendelang gekannt und erlebt haben.

 

Was also tun?

 

Eva Vettel zeigt uns in ihrer brandaktuellen Serie COVER, Digitaldrucken auf Zellkautschuk, was der Mensch in der Nachmoderne in einer großen Stadt immer öfter tut. Seiner Sehnsucht nach urbanen Ästhetiken, die über stadtplanerische Vorgaben hinausweisen wollen, bleibt der Mensch verhaftet. Also beginnt er Straßenschilder einzustricken, Geländer mit Tüchern zu umwickeln und schafft sich somit minimale Stücke der Zurückeroberung seiner Lebensumwelt selbst. Dass der Hinweis auf dergestalte Maßnahmen zur Herstellung eines bunteren Stadtbildes auf dasjenige Material gedruckt wurde, welches zu Beginn der Computerisierung unserer Lebenswelt zur Herstellung sogenannter Mousepads diente, ist dabei ebenso originell wie ironisch zu deuten und führt zuletzt zu der kuratorisch gelungenen Entscheidung, diese jüngste Werkreihe Eva Vettels auf dem Boden zu ihren Füßen zu präsentieren.

 

© by Andreas Richarz (M.A.)  artcritics for phenomenon_corporation / 10-2015

 

 

Über die Serie "zwei" von Christina Biundo, Kunsthistorikerin, Trier (2012)

zwei

Eine fotografische Reflektion über die Dimensionen von Anziehung, Gegensatz, Abspaltung und Dialog.

 

Eva Vettels helle, poetische Bilder sind das Ergebnis eines wechselnden Arbeitsprozesses zwischen Fotografie und Fotoinstallation. Aus halbtransparenter Fotografie mit Naturmotiven mitten im Raum entsteht in einem weiteren Prozess durch die Verschmelzung des transparenten Bildes mit dem Hintergrund des realen Zeit-Raumes neue Fotografie.

In ihr agieren hinter Strukturen von Erde, Wasser, Gräsern und Blüten Mensch und Tier wie durch einen Schleier im Raum. So erwächst aus einer pflanzlichen Struktur auf der Installation im Vordergrund in der Fotografie in der Ebene dahinter eine weibliche Figur. Wird eins, trägt die Spuren der floralen Strukturen, wird gar selbst fast zur floralen Struktur. Verschmilzt. Ist beides gleichzeitig. Es entsteht ein Davor, Dazwischen und Dahinter. Entrückt aus der Echtzeit. In einer Gleichzeitigkeit der Räume, der Ereignisse und der Materialitäten.

In den Fotoarbeiten entwickeln sich so Situationen, in denen die Bildebenen miteinander zu einem Einen werden, welches das Andere materiell in sich aufgenommen hat und dadurch tiefer wird, vielschichtiger, dichter und seltsam rätselhaft. Was sieht man? Wo sieht man es? Direkt auf der Oberfläche? Oder möglicherweise irgendwo dahinter in einem Raum. Der allerdings nicht der Raum ist, der sich tatsächlich im Bild eröffnet, sondern ein Raum, der in der Aufnahme durch den installierten, zweigeteilten Vorhang, bis hin zu den agierenden Figuren entsteht. Ein Zwischenraum. Ein zeitliches und räumliches Dazwischen. Ein Vakuum der Zeit, im Extrakt der Seinsmöglichkeiten, im geschützten Raum der Projektionen, die Eva Vettel in ihren Fotoarbeiten als Idealfall der Überschneidungen konstruiert.

Parallelwelten entstehen. Davor, dazwischen und dahinter. Entrückt aus der Echtzeit.  In diesem Kokon stehen sich Mensch und Mensch oder Mensch und Tier im Dialog gegenüber, getrennt durch den Spalt der Installation. In einer dritten Bildebene, die kurz aufleuchtet und die scheinbare Harmonie der Szene auseinander reißt. Wie Träume erscheinen diese Bilder - Erinnerungen, Ahnungen und Gedanken wachrufend.

Fotografie ist in der Tat der Schlüssel, mit dem Eva Vettel ihre Fragen über die Welt in Bildern sieht, denkt und fühlt.

 

Einführungsrede zur Eröffnung im Kunstverein Trier (Juni 2012)

Einführungsrede von Christina Biundo, Kunsthistorikerin, zur Eröffnung am 1.06.2012 im Kunstverein Trier


Seit 1997 geht Eva Vettel ungewöhnliche Wege in der Fotografie.

In ihren Arbeiten tritt Gegenständliches durch Verwischung, grobes Korn und lichte Transparenz zurück. Seit 2004 arbeitet sie parallel mit halbtransparenten Fotoinstallationen in Innen- und Außenräumen.

Ihre hellen, poetischen Bilder sind das Ergebnis eines wechselnden Arbeitsprozesses zwischen Fotografie und Fotoinstallation. Aus halbtransparenter Fotografie mit Naturmotiven mitten im Raum entsteht in einem weiteren Prozess - durch die Verschmelzung des transparenten Bildes mit dem Hintergrund des realen Zeit-Raumes - neue Fotografie.

So lautet die technische Beschreibung dessen, was Eva Vettel als künstlerische Arbeit vollbringt.

Was aber fasziniert und berührt mich an diesen Bildern?

Als ich gefragt wurde, ob ich die Arbeiten von Eva Vettel besprechen könnte, habe ich mir im worldwideweb Bilder von ihr angesehen. Mein erster Eindruck der Arbeiten war sehr positiv. Ich fand sie ästhetisch, luzide, verschleiert, poetisch. Begriffe, die sich auch auf der Einladungskarte oder im beschreibenden Text zu der Ausstellung finden. Und die, wie ich meine, auch nach wie vor treffend sind.
Ich sah, dass hinter Strukturen von Erde, Wasser, Gräsern und Blüten, Menschen und Tiere agieren wie durch einen Schleier im Raum. Dass sie sich in den hellen Bildern in irgendeiner Beziehung, möglicherweise im Dialog gegenüber stehen. Und dass die Bilder formal durch einen senkrecht durch das Bild laufenden Spalt, der eine weitere Ebene dahinter erahnen lässt, zweigeteilt sind.

Bei der ersten echten Begegnung, der ersten Betrachtung allerdings, veränderte sich mein Zugang zu den einzelnen Bildern und der Gesamtkomposition der Ausstellung.

Zuerst war ich fasziniert von der bildimmanenten Materialität und Kraft der Fotoarbeiten. Von Situationen, in denen die Bildebenen miteinander verschmelzen, zu einem Einen, welches das Andere materiell in sich aufgenommen hat. Das dadurch wiederum tiefer wird, vielschichtiger, ja dichter. Ich war wie magisch angezogen. Von dieser Verdichtung und Tiefe. Der Begriff des Malerischen schlich sich in meine Gedanken. Immer wieder habe ich mir diese Situationen angesehen, um zu ergründen, was ich da sehe. Wo ich es sehe. Direkt auf der Oberfläche? Oder irgendwo dahinter in einem Raum. Allerdings nicht in dem Raum, der sich tatsächlich im Bild eröffnet, sondern in dem Raum, der durch die Aufnahme durch den installierten, zweigeteilten Vorhang, dessen Teile nicht die gleiche sondern ganz bewusst unterschiedliche Projektion verursachen, bis hin zu den agierenden Figuren entsteht. Ein Zwischenraum. Ein zeitliches und räumliches Dazwischen. In dem, kaum zu fassen, eine Anhäufung, Verdichtung und Materialisierung stattfindet. Parallelwelten entstehen. Davor, dazwischen und dahinter. Entrückt aus der Echtzeit. Eine Gleichzeitigkeit der Räume, der Ereignisse und der Materialitäten.

Da erwächst aus einer pflanzlichen Struktur auf der Installation im Vordergrund in der Fotografie in der Ebene dahinter eine weibliche Figur. Wird eins, trägt die Spuren der floralen Strukturen, wird gar selbst fast zur floralen Struktur. Verschmilzt. Ist beides gleichzeitig.
An anderer Stelle materialisiert sich ein Körperteil durch die Verschmelzung der Ebenen zu einer vielschichtigen Stofflichkeit, einem gewachsenen, organischen Gebilde gleich, das die angelegte zeitliche und räumliche Ausdehnung des Zwischenraums scheinbar ganz und gar einnimmt und ausfüllt. Es wirkt dicker, dichter, materieller und erscheint in der Gleichzeitigkeit von Wirklichkeit und Projektion. Es ist wie es ist. Aber auch wieder nicht. Im selben Moment. Die Zeit scheint ausgesetzt. Eingefroren. Gleichzeitig.

Aber wo ereignet sich diese Gleichzeitigkeit der Materialitäten und Wirklichkeiten? Wo zeigt sich das Unfassbare? Wo vollzieht sich die Verschmelzung?
Vor dem Vorhang, hinter dem Vorhang oder dazwischen?
So wie ich es sehe, findet sie in diesem entrückten Raum dazwischen statt, in dem zeitlichen Kokon, im Vakuum der Zeit, im Extrakt des Seins, im geschützten Raum der Projektionen. In dem Raum, den Eva Vettel in ihren Fotografien konstruiert hat. Als Idealfall der Überschneidungen. Dort erwächst etwas aus etwas anderem. Geht im anderen auf und verändert sich. Ist und ist etwas anderes.

Natürlich, die Fragen "Was ist der Raum?" und "Was ist die Zeit?" liegen den künstlerischen Untersuchungen von Eva Vettels Arbeiten zugrunde. Sie überprüft ähnlich einem Wissenschaftlicher mittels einer künstlerischen Methode deren Zusammenhänge. Als Erkenntnisprozess. Dies nicht nur auf der Mikroebene, mit sich addierenden Materialitäten im Zwischenraum, sondern auch auf der Makroebene im realen Raum der Installation selbst.

So verweilt sie in der Wirklichkeit des Arbeitens hinter dem zweigeteilten Vorhang und hat schon von Anfang eine Situation des Gleichzeitigen Außen und Innen geschaffen. Von dort - ob Außen oder Innen, kommt auf den Standpunkt an - beobachtet sie Personen in der Installation und fotografiert sie durch den Schleier. Lässt die Projektion zu. Wie eine Vorstellung von etwas. Wie aus einem entrückten Traum nimmt sie diesen Moment und stellt ihn frei. Hält ihn fest. Bereits in der nächsten Sequenz ist er ein anderer Moment, eine andere Konstellation. Oder war? Schon ist wieder alles Vergangenheit. Alles neu. Verrückt. Der Moment des Jetzt ist in der Fotografie festgehalten, die Situation an sich unterliegt dem Verfall. Dem ständigen Prozess der Veränderung. Und ist bereits vergangen. Im Davor, dazwischen und dahinter.

Alles scheint unwirklich entrückt in diesen Bildern. Wie im Nebel. Wie im Traum. Wie in einer anderen Welt. Doch es ist mehr als stille Harmonie in diesen Arbeiten.

Eva Vettel zeigt Grenzen auf. Der Titel der Ausstellung "zwei" weist bereits darauf hin.
Mag sich alles vereinen hinter Schleiern oder in verschmelzenden Materialitäten. Die Figurenkonstellationen vermitteln trotz der offensichtlichen Beziehung zueinander den Moment von Getrenntsein. Zwar befinden sie sich im gleichen Raum, erleben am unfassbaren Ort gemeinsam das Phänomen der Verschmelzung. Aber nicht miteinander. Sondern lediglich mit der Projektion. Denn es trennt sie etwas voneinander. Ein krasser Schnitt geht senkrecht durch die Arbeiten.

Die somnambule Entrücktheit, in der alles Agieren im Zwischenraum der Projektionen leicht scheint, zerbrechlich schön, unwirklich und luzide, in der Beziehungskonstellationen in eine Fassungslosigkeit entrücken, in Ahnungen, Erinnerungen und Träume zu entschwinden scheinen, erfährt ihre Grenze durch diesen Streifen der Wirklichkeit, der mächtig teilt in rechts und links. Der voneinander trennt. Oder der nicht zusammenkommen lässt - das kommt auf den Blickwinkel an.

Egal wie. An dieser Stelle entstehen zwei Teile, die sich gegenüber stehen. Die den Titel der Ausstellung "zwei" erklären.

Die scharf geschnittene Gegenwart, die Ebene hinter dem Dahinter, die dritte Ebene im Bild, das, was nur kurz aufleuchtet, reißt die scheinbare Harmonie der entrückten Situation auseinander und zurück auf den Boden der Tatsachen. Dorthin, wo nicht alles harmonisch, organisch wächst und eins das andere ganz leicht in sich aufnimmt um Neues entstehen zu lassen. Dorthin wo Gegensätze herrschen. Im Jetzt wohnt der Kontrast. Im Jetzt findet die Veränderung statt. Im Jetzt sind die Dinge letztlich getrennt. Bevor sie sich im Schleier der Erinnerung wieder vereinen lassen.
Melancholie drängt sich mir als Wort auf. Ein Schmerz schimmert in den leichten Arbeiten auf, den wohl alle kennen, die sich ernsthaft und tief mit dem Werden und Vergehen aller Beständigkeit des Lebens beschäftigen.

Was sagt Eva Vettel selbst zu Ihrer Arbeit?
"Fotografie ist der Schlüssel, meine Fragen über die Welt in Bildern zu sehen, zu fühlen, zu denken."

Exakt das - und dem habe ich an dieser Stelle nichts hinzuzufügen.


Christina Biundo

 

Textauszug Katalog "Kunst 2006 -Blickachse Dokumentation" von Carolin Bollinger

"Eva Vettel spielte mit den Sehgewohnheiten der Betrachter, indem sie anhand von transparenten Photoarbeiten artifizielle Landschaft vor reale Landschaft setzte.Durch die Überschneidung dieser Ebenen ergaben sich neue, träumerische Betrachtungsebenen. Dabei ist das „Hier und Jetzt“ wichtiger Bestandteil der Arbeit.Spazierende Menschen auf der Wiese wurden für den Betrachter auf der anderen Seite des Photos ein Teil desselben.“